Liebe Genossenschafter*innen
Liebe Leser*innen
«Nachhaltigkeit». Dieser Begriff steht seit geraumer Zeit weit oben auf der Prioritätenliste zahlreicher Organisationen und Unternehmen. Die Verantwortlichen haben sich dabei das ambitiöse Ziel gesteckt, in Zukunft auf geschäftlicher Ebene nachhaltiger zu agieren. Für den Sunnige Hof ist das Nachhaltigkeitsthema nicht nur ein Prestigeprojekt oder ein abstrakter und teilweise inflationär benutzter Begriff. Vielmehr ist die Nachhaltigkeit innerhalb unserer Siedlungsgenossenschaft Programm und gehört seit je her zu unserer DNA!
Von den Klimamassnahmen und den Bienenvölkern auf den Dächern der Siedlung Mattenhof über die Solaranlagen in Else Züblin bis hin zum in Auftrag gegebenen CO2-Bericht: Der Sunnige Hof hat in den letzten Monaten Vieles erreicht. Das gilt auch für das Geschäftsjahr 2023. Deshalb gewähren wir Ihnen im vorliegenden Geschäftsbericht einen umfassenden Einblick in unsere Bestrebungen, die ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit miteinander in Einklang zu bringen. Wenn wir auf das letzte Jahr zurückblicken, können wir guten Gewissens sagen: Die Genossenschaft hat ihre Verantwortung wahrgenommen und weitere Leuchtturmprojekte in Angriff genommen. Drei solche Projekte heben wir in diesem Jahresbericht besonders hervor:
– Mit der geplanten Photovoltaikanlage, die in Kombination mit einem innovativen Salzbatteriespeicher umgesetzt wird, gehen wir in Mönchaltorf neue Wege. Damit leisten wir einen Beitrag, die natürlichen Ressourcen zu schonen und für die nachkommenden Generationen zu erhalten. Was der Salzbatteriespeicher zu leisten vermag und wie er zur ökologischen Nachhaltigkeit beiträgt, lesen Sie in diesem Beitrag.
– Der Fokus unserer Genossenschaft liegt nicht nur auf ökologischen Massnahmen, sondern basiert auch auf sozialen Initiativen, die das Wohlergehen der Gemeinschaft und Gesellschaft fördern. Dazu gehört der Wille, den knappen Wohnraum möglichst umsichtig zu bewirtschaften – etwa mit dem Instrument der Umsiedlungen. Dass es sich hierbei nicht um eine unnötige Schikane handelt, sondern um ein weitsichtiges Instrument, dank welchem möglichst viele Menschen vom attraktiven Wohnraum in der Stadt und Raum Zürich profitieren können, zeigt das Beispiel einer Umsiedlung an der Wehntalerstrasse in Zürich.
– Abschliessend verstehen wir unter ökonomischer Nachhaltigkeit, unsere Finanzen im Lot zu halten und mit den finanziellen Ressourcen umsichtig umzugehen. Ausserdem verpflichten wir uns zu einem verantwortungsvollen Umgang mit all unseren Stakeholdern. Diese Philosophie schlägt sich im diesjährigen Jahresabschluss nieder. Dank der vorausschauenden und risikoaversen Finanzpolitik konnten wir die Jahresrechnung erneut positiv abschliessen. Somit haben wir unser Credo, dass eine Organisation nur erfolgreich sein kann, wenn sie auch finanziell gesund ist, unter Beweis gestellt. Mehr dazu lesen Sie im Interview mit unserem Verwaltungsrat Armin Imoberdorf. Die nachhaltige Geschäftstätigkeit stärkt das Vertrauen in unsere Organisation und ist der lebendige Beweis, dass eine umfassende Nachhaltigkeit auch in finanziellen Fragen ein erfolgreiches Geschäftsmodell sein kann. Für Sie, für uns – für unsere ganze Gemeinschaft.
Snezana Blickenstorfer & Gabriele Burn
Unsere Siedlungen
Wohneinheiten:
Lagebericht
Nachhaltigkeit
Nachhaltigkeit ist derzeit in aller Munde, und auch für unsere Siedlungsgenossenschaft spielt der Nachhaltigkeitsgedanke eine zentrale Rolle. Welche Projekte wir im Bereich der ökologischen, sozialen und ökonomischen Nachhaltigkeit umsetzen, stellen wir Ihnen in diesem Geschäftsbericht vor.
Finanzbericht und Jahresrechnung
Mietzinseinnahmen
Bruttoanlagekosten inkl. Baukonti
Verzinsliche Verbindlichkeiten
Jahresgewinn
Cashflow Betrieb
Einlagen Erneuerungsfonds
Genossenschafter*innen
Mitarbeiter*innen
Finanzkennzahlen
Trotz einem herausfordernden Umfeld konnte der Sunnige Hof das Geschäftsjahr 2023 solide abschliessen: So erzielte die Siedlungsgenossenschaft Mietzinseinnahmen in der Höhe von CHF 31.7 Mio. Ein Jahr zuvor kamen diese bei CHF 30.7 Mio. zu liegen und die damit nötig gewordene allgemeine Mietzinserhöhung um rund zwei Prozent ist auf die Erhöhung des Gebäudeversicherungswerts durch die Gebäudeversicherung des Kantons Zürich zurückzuführen. Währenddessen belief sich der betriebliche Cashflow auf CHF 14.1 Mio. (2022: CHF 13.3 Mio.) und unter dem Strich resultierte ein Jahresgewinn von rund CHF 0.5 Mio. Die verzinslichen Verbindlichkeiten betrugen im Geschäftsjahr 2023 insgesamt CHF 519.4 Mio. und die Bruttoanlagekosten beliefen sich auf CHF 676.7 Mio.
Bauen
Mit der Grundsteinlegung beim Neubauprojekt Mattenhof 3 in Zürich-Schwamendingen letzten Sommer ist dem Sunnige Hof ein weiterer Meilenstein im Baubereich gelungen. Die Geschäftsstelle ist optimistisch, dass die 84 altersgerechten Wohnungen Anfang 2025 bezugsbereit sind. Als Ergänzung zu den Wohnungen sind in der neu entstehenden Siedlung ein Gemeinschafts- und ein Fitnessraum sowie zumietbare Schaltzimmer und Gemeinschaftsflächen wie auch eine Dachterrasse zur gemeinschaftlichen Nutzung vorgesehen. Das Wohnungsangebot reicht von 1- bis 5.5-Zimmer-Wohnungen und bietet zu den bereits bestehenden Wohnungen im Mattenhof 1 & 2 die ideale Ergänzung. Mit dem Mattenhof 3 möchte die Genossenschaft eine Zielgruppe ansprechen, die das 60. Lebensjahr überschritten hat. Gleichzeitig strebt sie eine gesunde Durchmischung innerhalb der neu entstehenden Siedlung an.
Zu den Bauerfolgen der Genossenschaft im Geschäftsjahr 2023 gehört auch die Sanierung der denkmalgeschützten Siedlung Sunnige Hof in Zürich-Schwamendingen. In zwei Teiletappen sanierten Bauarbeiter im Auftrag der Geschäftsstelle die Keller von 43 Reiheneinfamilienhäusern und acht Einfamilienhäusern. Bei dieser Gelegenheit erhielten die Fassaden der Wohnhäuser neue Fenster und einen neuen Anstrich, und die teilweise maroden Fernwärmeleitungen wurden komplett neu erstellt, was zu Anpassungen an der bestehenden Heizzentrale führte. Im Zuge der Sanierung kam es zu einer gestaffelten Mietzinserhöhung.
An der Generalversammlung im Juni 2023 stimmten die Genossenschafter*innen auch dem Baukredit für den Ersatzneubau Probstei mit grosser Mehrheit zu. Der Ersatzneubau mit rund 136 neuen Wohnungen wird frühestens Mitte 2028 abgeschlossen sein.
Vermietung
2023 liefen die Vorbereitungen für die Vermietungsbroschüre und den Ablauf des Vermietungsprozesses für den Neubau Mattenhof 3 auf der Geschäftsstelle an. Über diesen Prozess informierte der Sunnige Hof in der Weihnachtsausgabe des Genossenschaftsmagazins «DasHeft» im Dezember 2023. Die Wohnflächen im Mattenhof 3 reichen von 28 bis 141 Quadratmetern für 1- bis 5.5-Zimmer-Wohnungen. Beim Zuteilungsverfahren wird den eigenen Genossenschafter*innen Vorrang gegenüber externen Bewerbenden gewährt. Der Vermietungsprozess startete im Frühling 2024.
Indes passte die Gebäudeversicherung des Kantons Zürich per 1. Januar 2023 im Zuge der globalen und regionalen Grosswetterlage den Index des Gebäudeversicherungswerts (GVZ-Wert) für sämtliche Liegenschaften im Kanton Zürich an. Dieser erstmalige Anstieg des Versicherungswertes seit 14 Jahren führte beim Sunnige Hof zu Mietzinsanpassungen – zumal der GVZ-Wert einer der integralen Bestandteile für die Berechnung der Kostenmiete ist. Die Mietzinserhöhungen erfolgten pro Siedlung individuell und auf moderate Art und Weise. Über dieses Vorgehen wurde in einem Mieterschreiben Anfang 2023 transparent und zeitnah informiert. Zudem gelang es, die Leerstandsquote weiter auf erfreuliche 0.6 Prozent zu senken. Im Berichtsjahr 2023 verzeichnete die Genossenschaft 94 Wohnobjektwechsel. Davon gelangten 38 auf den freien Wohnungsmarkt. Des Weiteren gewährte die Genossenschaft im abgelaufenen Geschäftsjahr den Mietenden Mietzinserlasse von CHF 78’278.
Organisation und Struktur
2023 standen Erneuerungs- und Ergänzungswahlen an der Generalversammlung an. Die Genossenschafter*innen wählten die sieben amtierenden Verwaltungsratsmitglieder Snezana Blickenstorfer, Bersanti Mozzetti, Armin Imoberdorf, Michael Bopp, Sarah Genner und Demetrius Rinderknecht mit einer grossen Mehrheit für eine weitere vierjährige Amtsperiode. Auch Verwaltungsratspräsidentin Snezana Blickenstorfer wurde in ihrem Amt bestätigt. Darüber hinaus sprachen sie den beiden Kandidierenden Alexander Stricker und Jérôme Gaberell das Vertrauen aus und wählten die beiden Persönlichkeiten in das höchste strategische Gremium der Genossenschaft. Wiebke Rösler Häfliger ihrerseits wurde von der Stadt Zürich als städtische Delegierte für eine weitere Amtsdauer von 2022 bis 2026 in den Verwaltungsrat des Sunnige Hof entsandt.
Verwaltungsrat
Auch auf operativer Ebene kam es in der Geschäftsleitung zu personellen Veränderungen. Bernhard Bütler füllt seit dem 1. September 2023 die Lücke, die sein Vorgänger Jérôme Hollenstein als Bereichsleiter «DieFinanzen» hinterliess. Abschliessend waren im Sunnige Hof per Ende des Jahres 2023 insgesamt 55 Mitarbeitende beschäftigt.
Geschäftsleitung
Gabriele Burn
Geschäftsführerin
Katrin Gondeck
Bereichsleiterin DerBau
Cécile Bachmann
Bereichsleiterin Genossenschaftliches Leben & Kommunikation
Bernhard Bütler
Bereichsleiter DieFinanzen
Sunnige Hof Strategie 2024–2028
Symbolisch für die neue Strategie im Sunnige Hof steht der Kompass. Dieser symbolisiert einerseits Zielstrebigkeit und soll der Siedlungsgenossenschaft in den kommenden fünf Jahren weiterhin den Weg zu einem nachhaltigen und genossenschaftlich geprägten Erfolg weisen. Diese Richtungsweisung ist wichtig, wenn es darum geht, die Wachstumsambitionen des Sunnige Hof zu definieren und weiterzuentwickeln. Zum Wegweiser der neuen Unternehmensstrategie gehören acht Erfolgsfaktoren: preiswerter Wohnraum, Wohnen für alle, kontinuierliches Wachstum, robuste Organisation, gelebte Mitwirkung, attraktive und gepflegte Lebensräume, ökologische Nachhaltigkeit und Gemeinschaftsorientierung. In der Operationalisierung der Strategie fokussiert sich die Genossenschaft künftig auf insgesamt 16 verschiedene Leistungsindikatoren. Es handelt sich um klar zuordenbare respektive messbare Kriterien, die jeweils auf einen der acht Erfolgsfaktoren einzahlen. Durch die Leistungsindikatoren sorgt der Sunnige Hof für Transparenz und Glaubwürdigkeit. Die Sunnige Hof Strategie hat der Verwaltungsrat gemeinsam mit der Geschäftsleitung und den Mitarbeitenden erarbeitet und in einem Mitwirkungsprozess in den Siedlungsversammlungen gesoundet. Der Verwaltungsrat ist überzeugt, mit der neuen Strategie den Kompass für die kommenden Herausforderungen der Siedlungsgenossenschaft richtig ausgerichtet zu haben.
Mitwirkung
Die Mitwirkung innerhalb des Sunnige Hof wächst auch sieben Jahre nach ihrer Gründung weiter. Mit der Etablierung einer neuen Siedlungsversammlung in der Siedlung Silbergrueb hat die Mitwirkung im vergangenen Jahr an genossenschaftsinterner Akzeptanz gewonnen und sich einen festen Platz im Siedlungsleben erobert. Dies zeigt sich auch an den steigenden Teilnehmerzahlen an den zehn Siedlungsversammlungen in insgesamt fünf Sunnige Hof Siedlungen. An der Siedlungsversammlung Schwamendingen zum Thema Vermietung & Mieterwechsel und in der Siedlung Else Züblin bei der Thematik Servicepauschale kam es zu Rekordbeteiligungen. Ausserdem wünschten sich die Mitwirkenden an der Frühjahrs-Delegiertenversammlung, die geleisteten Stunden der Freiwilligenarbeit zu honorieren, und regten daher an, die geleistete Freiwilligenarbeit im diesjährigen Geschäftsbericht auszuweisen. Diesem Wunsch ist die Siedlungsgenossenschaft nachgekommen und hat diese im Berichtsjahr 2023 mithilfe der Genossenschafter*innen erhoben. Diese ergab, dass vergangenes Jahr insgesamt 73 Mitwirkende 4001 Stunden zum Wohle der Gemeinschaft und der Genossenschaft leisteten. Der Sunnige Hof bedankt sich bei den Mitwirkenden für dieses Engagement.
Foto: Ordentliche Generalversammlung 2023 / Ulrich Wydler
Nachhaltigkeit
Die Nachhaltigkeit hat für den Sunnige Hof einen hohen Stellenwert. Daher hat die Genossenschaft zahlreiche Massnahmen in diesem Bereich auf den Weg gebracht. Im Jahr 2022 wurde ein CO2-Bericht erstellt. Dieser hat den Ist-Zustand und das daraus folgende Investitionspotenzial in erneuerbare Energien aufgezeigt. Auch hat der Sunnige Hof in umfassende Klimamassnahmen in der Siedlung Mattenhof zur Hitzeminderung und für eine lebenswertere Umgebung investiert. Darüber hinaus hat die Geschäftsstelle Anfang Dezember des letzten Jahres begonnen, eine eigene, auf den Sunnige Hof zugeschnittene Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln. Bei diesem Prozess steht die Frage im Mittelpunkt, wie die Nachhaltigkeitsstrategie in die bereits vorhandene Sunnige Hof Strategie 2024–2028 eingebettet werden kann. Den Prozess zur Erarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie schliesstcdie Genossenschaft voraussichtlich Ende 2024cab. Wie wichtig dem Sunnige Hof die ganzheitliche Nachhaltigkeit ist, zeigt auch der Blick in den aktuellen Geschäftsbericht, der vertieft auf das Thema Nachhaltigkeit eingeht und im ökologischen, sozialen und ökonomischen Bereich spezifische Akzente setzt.
Im Jahr 2017 führte der Sunnige Hof die Mitwirkung ein. Seither konnte die Siedlungsgenossenschaft den Diskurs mit seinen Genossenschafter*innen nicht nur festigen, sondern auch ausbauen. Dank dieser Partnerschaft gelang es, erste Leuchtturmprojekte erfolgreich umzusetzen – dazu gehört der Ersatzneubau der Siedlung Probstei. Grund genug, gemeinsam mit einem beteiligten Genossenschafter auf diesen gelungenen Mitwirkungsprozess zurückzublicken.
Sichtlich zufrieden blickt Lukas Schmid auf die Pläne und das Gipsmodell des geplanten Ersatzneubaus der Siedlung Probstei in Zürich-Schwamendingen. Dem 48-jährigen Zürcher gefällt, was er sieht. Angereichert mit kleinen Ecken und Kanten, zeugen die drei einfach geschnittenen Baukörper des Siegerprojekts «The Three Magnets» aus dem Architekturwettbewerb von Qualität: «Die Architekten haben entlang der Hauptstrasse kleine Erker in die Wohnungen eingeplant. Diese rhythmisieren einerseits die Strassenfassade, und andererseits werden die Bewohnenden dank diesen Erkern künftig aus den Küchenfenstern auf den langen Strassenverlauf hinausblicken – ein geschickt eingesetztes Mittel, um den knapp bemessenen Wohnungen Grosszügigkeit zu verleihen.»
Lukas Schmid weiss, wovon er spricht: Der ausgebildete Hochbauzeichner mit anschliessendem Architekturstudium in Winterthur und Berlin wohnt seit über zehn Jahren in der Else-Züblin-Siedlung in Zürich-Albisrieden, ist gleichzeitig Mitglied der Begleitgruppe Bau und somit Mitwirkender der ersten Stunde.
Kritischer Geist mit an Bord
Kein Zufall, band ihn die Geschäftsstelle des Sunnige Hof gemeinsam mit anderen Mitwirkenden zu einem frühen Zeitpunkt in die Erarbeitung der Projektziele für den Ersatzneubau Probstei mit ein und konnte dabei während dieses Mitwirkungsprozesses von seinem gesamten beruflichen und akademischen Erfahrungsschatz profitieren.
Für den zweifachen Familienvater war schnell klar, sich bei diesem Projekt einzubringen – selbst wenn oder vielleicht auch gerade weil von ihm ab und an kritischere Töne zu vernehmen sind: «In der Tat gehöre ich zu den kritischen Geistern der Genossenschaft und halte mit meiner Meinung in der Regel nicht hinter dem Berg. Deshalb hielt ich es auch für richtig und wichtig, mich aktiv in diesen Prozess mit einzubringen », sagt Lukas Schmid.
Breite Basisarbeit ebnete den Weg zum Erfolg
Auf diese Worte liess Lukas Schmid denn auch Taten folgen: Für die Probstei konnte die Begleitgruppe Bau eine projektspezifische Arbeitsgruppe bilden und somit erstmals einen wichtigen Bestandteil ihres Mitwirkungskonzepts umsetzen. In diesem neu ins Leben gerufenen Mitwirkungsgefäss diskutierten die Mitwirkenden gemeinsam mit Mitgliedern aus dem Verwaltungsrat und der Geschäftsleitung mögliche Anforderungen und Ziele für das Projekt und spiegelten sich gegenseitig die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Markt- und Standortanalyse.
Fester Bestandteil der Basisarbeit waren derweil Workshops, an denen nebst Verwaltungsrat und Geschäftsstelle auch die Projektgruppe miteinbezogen war. Daraus entstanden letztlich realistische Vorgaben für das nun vorliegende Ersatzneubauprojekt. «Wir haben uns viel Zeit für vertiefte Gespräche genommen und wogen diverse Argumente gegeneinander ab – ein fruchtbarer Mitwirkungsprozess», bestätigt Lukas Schmid. Überdies flossen auch die Anliegen der Probstei-Anwohner* innen in den Prozess mit ein und an einem Informationsanlass konnten alle interessierten Genossenschafter*innen aus den umliegenden Siedlungen die Ergebnisse aus den Workshops diskutieren.
«Wir haben uns viel Zeit für vertiefte Gespräche genommen und wogen diverse Argumente gegeneinander ab – ein fruchtbarer Mitwirkungsprozess»
Das Gespräch mit Lukas Schmid zeigt eindrücklich: Der Architekt ist Genossenschafter durch und durch. Neben seinem Engagement als Mitwirkender des Sunnige Hof ist er beispielsweise auch als Vorstandsmitglied einer anderen Siedlungsgenossenschaft im Raum Zürich tätig.
Blick auf das Wesentliche nicht verlieren
Trotz der Passion für die Genossenschaft und die Architektur: Fallstricke sind auch in einem solchen Projekt nicht zu vermeiden. So empfand Lukas Schmid es als herausfordernd, sich in den Diskussionen innerhalb der Projektgruppe nicht in der Vielfalt der Themen zu verlieren: «Es wurden Aspekte auf unterschiedlichsten Ebenen diskutiert: Was ist eine angemessene Aufteilung der verschiedenen Wohnungstypen? Was braucht es für Infrastrukturen für ein genossenschaftliches Zusammenleben? Wie grosszügig sollen die Wohnungen bemessen sein? Über wie viele Nasszellen sollen die einzelnen Wohnungen verfügen, und wie soll die Kostenstruktur aussehen?» Um sich in all diesen Fragen einzubringen, war ein bestimmter Grad an Fachwissen hilfreich, gibt Lukas Schmid ebenfalls zu Protokoll.
Trotz der komplexen Aufgabenstellung lässt sich das Ergebnis sehen. Dazu war es wichtig, dass die Projektgruppe das Genossenschafter und Architekt Lukas Schmid kann voll und ganz hinter dem Neubauprojekt Probstei stehen. 17 | Geschäftsbericht 2022 Wesentliche nicht aus den Augen verlor: «Schliesslich ist es uns gelungen, einige wichtige Fokusthemen als Anliegen aus der Mitwirkungsgruppe für den weiteren Verlauf des Entwicklungs- und Planungsprozesses der neuen Probstei als Projektziele zu formulieren und dem Verwaltungsrat vorzuschlagen. » Der Verwaltungsrat prüfte diese Ideen und Vorschläge wohlwollend und fällte daraufhin seine Entscheidungen – in der Regel im Sinne der Mitwirkung.
Fokus auf soziale Nachhaltigkeit
Tatsächlich stand das Motto für die Verantwortlichen der Projektgruppe früh fest: «Wir waren uns einig, dass der Fokus auf kostengünstigen Wohnungen liegen muss», sagt Lukas Schmid. Als Kondensat aus den intensiven Diskussionen formulierte die Projektgruppe gemeinsam mit der Begleitgruppe Bau den Slogan «preisWertig: ökonomisch, ökologisch und sozial» für die Erneuerung des Wohnungsbestands in der Probstei. Dafür plant die Genossenschaft, die 36 Reihenhäuser an der Dübendorfstrasse durch Neubauten mit rund 135 Wohnungen zu ersetzen. Zeitgemässe Schalt- und Gästezimmer, ein Gemeinschaftsraum, Ateliers und ein Doppelkindergarten sollen zu einem lebendigen, flexiblen und familienfreundlichen Siedlungsangebot beitragen. Darüber hinaus sind im Ersatzneubau auch Grosswohnungen mit bis zu sechs Zimmern anzutreffen.
Bereichernde Juryarbeit
Nach dem erfolgreichen Abschluss der Projektdefinition mit der Festlegung der Ziele gingen der angestossene Architekturwettbewerb und die damit verbundene Juryarbeit professionell, zielgerichtet, stufengerecht wie auch in einer genossenschaftlichen Atmosphäre über die Bühne. «Für mich war die Tätigkeit in der Jury trotz grossem Zeitaufwand ein positives Erlebnis. Die Diskussionen zwischen den unabhängigen Fachspezialisten und den Genossenschaftsvertreter*innen war vielschichtig und bereichernd. So konnten die unterschiedlichsten Blickwinkel in die Bewertung der Projekte miteinbezogen werden», führt Lukas Schmid aus. Die Vertreterin des Amtes für Städtebau habe stets die Bewilligungsfähigkeit im Auge behalten, während für die Landschaftsarchitektin die Einbettung in die umliegenden Aussenräume und das Quartier Priorität hatte.
«Für mich war die Tätigkeit in der Jury trotz grossem Zeitaufwand ein positives Erlebnis. Die Diskussionen zwischen den unabhängigen Fachspezialisten und den Genossenschaftsvertreter*innen war vielschichtig und bereichernd.»
Im Schlussspurt und nach Abschluss des Mitwirkungsprozesses beugte sich die Jury im Beurteilungsprozess über vier Projekte, welche es in die engste Auswahl schafften. Einen klaren Favoriten hatte der verheiratete Familienvater zu diesem Zeitpunkt noch nicht. «Alle vier Projektvorschläge bewegten sich auf Augenhöhe.» Ausserdem verfolgten die Architektenteams verschiedene architektonische Ansätze. Während ein Projektteam einen Teil der Bausubstanz erhalten wollte, versuchte ein anderes Architekturbüro, die maximale Dichte zu erreichen. «Das waren interessante Beiträge, weil sie uns in der Schlussrunde dazu zwangen, nochmals über grundsätzliche Themen zu debattieren.»
Aussenraum überzeugte
Am Ende setzte sich das Projekt «The Three Magnets» des noch jungen Büros MMMR Architekten im Gremium einstimmig gegen die Konkurrenz durch. Das Siegerprojekt leistet einen Beitrag zur Modernisierung der Gartenstadt Schwamendingen. Für Lukas Schmid gab unter anderem auch der Aussenraum den Ausschlag. «Die drei schlanken Häuser finden eine präzise Antwort auf die herausfordernde Situation der schmalen, entlang der Dübendorfstrasse gelegenen Grundstücke. Es gelingt den Architekten, auf der von der Strasse abgewandten Seite einen Siedlungsraum zu bilden, welcher auf selbstverständliche Weise beide Arealteile der Probstei miteinander verbindet.» Abgerundet wird das Projekt mit einem charakterstarken Steildach. Beim Betrachten der Pläne und des Modells reflektiert der Genossenschafter Lukas Schmid noch einmal die vergangenen Monate: «Der Entwicklungsprozess um den Ersatzneubau Probstei war ein gelungenes Beispiel für einen funktionierenden Mitwirkungsprozess, bei dem ein transparenter und offener Dialog zwischen Geschäftsstelle, Verwaltungsrat und Genossenschafter*innen stattfand.» Daher ist für den Architekten klar: Das von der Begleitgruppe Bau verfasste Mitwirkungskonzept konnte erfolgreich umgesetzt werden und ist zukunftsfähig – zum Wohl der Bewohnenden und der Genossenschaft selbst.
Snezana Blickenstorfer stiess 2009 zum Verwaltungsrat des Sunnige Hof. Seit 2014 steht sie dem Gremium vor. Die 47-jährige Rechtsanwältin war 2017 massgeblich an der Entstehung der Mitwirkung innerhalb der Siedlungsgenossenschaft beteiligt. Nun blickt sie im Gespräch auf die Initialisierungsphase zurück und berichtet, welches die grössten Herausforderungen waren.
Snezana Blickenstorfer, was hat Sie motiviert, die Mitwirkung im Sunnige Hof im Jahr 2017 ins Leben zu rufen?
Snezana Blickenstorfer: Wir mussten in den Jahren zuvor feststellen, dass unsere Entscheidungsstrukturen nicht mehr zeitgemäss waren und nicht mehr der Grösse unserer Genossenschaft entsprachen. Unsere Mitgliederzahlen stiegen in den letzten 15 Jahren stetig, von rund 1000 auf 2500 Genossenschafter* innen, und inzwischen verfügen wir über rund 600 zusätzliche Wohnungen. Zudem wünschten wir uns, Entscheidungen innerhalb der Siedlungsgenossenschaft breiter abstützen zu können und das Mitbestimmungsrecht sowie die Wirksamkeit der Genossenschafter*innen zu stärken.
Sie sprechen davon, dass die Genossenschaft nicht mehr zeitgemäss aufgestellt war. Was bedeutet das konkret?
Wir zählten zu den älteren und behäbigen Genossenschaften, welche es gewohnt waren, ihre Entscheidungen allein von oben nach unten – natürlich immer mit Blick auf den statutarischen Gesellschaftszweck – zu fällen und umzusetzen. An der Generalversammlung durften dann die Genossenschafter* innen die Entscheidungen lediglich annehmen oder verwerfen. Ausserdem konnten wir nicht mehr mit Sicherheit sagen, was unsere Genossenschafter*innen im Alltag bewegt. So wussten wir nicht, ob es sich bei einzelnen Meinungsäusserungen um Partikularinteressen oder tatsächlich um ein genossenschaftsweites Bedürfnis handelte. Kurz: Wir waren nicht mehr am Puls unserer Bewohner*innen.
So ist also die Idee der Mitwirkung entstanden. Wie dürfen wir uns die Etablierung der Mitwirkung vorstellen?
Wir gingen ergebnisoffen an das Mitwirkungsprojekt heran. Wir waren und sind nach wie vor der Ansicht, dass sich die Mitwirkung nicht von aussen aufzwingen lässt. Die Teilnahme an einem nachhaltigen Mitwirkungsprozess muss sich seinen Weg von innen nach aussen bahnen. Deshalb gingen wir jeden Schritt unseres Weges gemeinsam mit den Genossenschafter* innen. Wir starteten als Erstes mit Workshops und Informationsveranstaltungen. Bei diesen Veranstaltungen haben wir eine Standortbestimmung vorgenommen. Wir holten bei den Teilnehmenden ab, welche Themen sie beschäftigen. Aus diesen Workshops und Informationsveranstaltungen, an welchen gegen 65 Mitglieder teilnahmen, ergaben sich wiederum Arbeitsgruppen, in denen auch Mitglieder der Geschäftsstelle und des Verwaltungsrates vertreten waren. Die Arbeitsgruppen beugten sich über strukturelle Grundsatzfragen genauso wie über Alltagsthemen. Aus diesen Gefässen kristallisierte sich beispielsweise heraus, dass die Genossenschafter*innen frühzeitig in Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden möchten und wünschten, der Geschäftsstelle oder dem Verwaltungsrat selbst Inputs zu spezifischen Fragen zu liefern.
«Die Teilnahme an einem nachhaltigen Mitwirkungsprozess muss sich seinen Weg von innen nach aussen bahnen. Deshalb gingen wir jeden Schritt unseres Weges gemeinsam mit den Genossenschafter* innen.»
Und wo lagen für Sie in dieser Initialisierungsphase die grössten Herausforderungen?
Nicht jedem war sofort klar, dass die Mitwirkung für unsere Siedlungsgenossenschaft sinnvoll ist und unsere Gemeinschaft als Ganzes stärkt. Darüber hinaus durften wir das Erwartungsmanagement nicht aus den Augen verlieren, und nicht zuletzt mussten wir lernen, Kritik auszuhalten – besonders wenn wir auf kritische Fragen nicht sofort eine Antwort wussten, weil beispielsweise noch Abklärungen notwendig waren. Wir lernten aber auch, Kritik in konstruktive Lösungsansätze umzuwandeln. Aber noch heute steht ab und zu der Vorwurf im Raum, dass es uns mit der Mitwirkung nicht ernst genug ist. Ich kann den Genossenschafter*innen und Mitwirkenden versichern: Wir nehmen den Dialog sehr ernst. In allen Arbeits-, Begleit- und Projektgruppen sind je ein Mitglied des Verwaltungsrates und der Geschäftsleitung vertreten. Wir haben neben den bestehenden Gremien wie den Siedlungs- und Delegiertenversammlungen weitere Gefässe für den Austausch zwischen Mitwirkung und Verwaltungsrat geschaffen – wie die Standortbestimmung oder den Workshop NetzMitwirkung. Allein diese Beispiele illustrieren, dass es uns mit der Mitwirkung und dem Dialog ernst ist.
Sie sprechen von Erwartungsmanagement. Was meinen Sie damit?
Es stand die Befürchtung im Raum, die Genossenschafter*innen könnten im Zuge der Mitwirkung in die operative Tätigkeit der Geschäftsstelle eingreifen und beispielsweise über die Farben der Bodenplatten in den Badezimmern des Mattenhofs mitentscheiden wollen. Darum ging es den allermeisten Genossenschafter*innen jedoch nie. Sie möchten einfach mit uns über die wesentlichen Fragen der Siedlungsgenossenschaft sprechen. Gleichzeitig mussten wir den Mitwirkenden aber auch erklären, wie die Kompetenzen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Genossenschaft verteilt sind. So liegt die strategische Ausrichtung grundsätzlich im Aufgabenbereich des Verwaltungsrates. In der Mitwirkung müssen wir uns stets die Frage stellen: Handelt es sich um ein Thema, das in der Kernkompetenz der Generalversammlung, des Verwaltungsrates, der Geschäftsstelle oder der Mitwirkung liegt? Dennoch können und sollen wir im Sunnige Hof über Entscheidungen lustvoll diskutieren können.
«Wir haben bewiesen, dass die Mitwirkung im Sunnige Hof keine Modeerscheinung ist.»
Welche wesentlichen Fragen möchten Sie gemeinsam mit den Mitwirkenden klären?
Snezana Blickenstorfer: Da gibt es einige wie: Wohin soll sich die Genossenschaft weiterentwickeln? Wo legen wir unsere inhaltlichen Schwerpunkte? Möchten wir den Bewohnenden die günstigstmögliche Miete oder den maximalen Komfort bieten oder setzen wir voll auf Biodiversität und Klimaschutz? Was ist der richtige Mittelweg für unsere Genossenschaft?
Hatten Sie ein Vorbild, einen Benchmark, die Sie bei der Initialisierung der Mitwirkung angestrebt haben?
Snezana Blickenstorfer: In der Tat haben wir uns in der Genossenschaftsszene umgehört, wie die Mitbewerber die Mitwirkung umsetzen – ein klares Vorbild gab es und gibt es aber nicht. Zudem liessen wir uns von einem externen Branchenspezialisten in dieser Sache begleiten. Wir wollten mit den Genossenschafter*innen unseren eigenen Mitwirkungsweg begehen. Dieser sollte spezifisch auf den Sunnige Hof zugeschnitten sein. Ich denke, das ist uns gemeinsam mit den Mitwirkenden gut gelungen.
«Wir wollten mit den Genossenschafter*innen unseren eigenen Mitwirkungsweg begehen. Dieser sollte spezifisch auf den Sunnige Hof zugeschnitten sein.»
Gab es Schlüsselmomente, in denen Sie gespürt haben: Jetzt haben wir den höchsten Bergpass bezwungen?
Snezana Blickenstorfer: Es gab mehrere solcher Momente: die initialen Workshops, die sich durch eine hohe Teilnehmerzahl und engagierte Diskussionen auszeichneten; als die ersten fassbaren Arbeitsresultate wie der Büchertreff, der nur dank einem grossen Einsatz der involvierten Personen eröffnet und bis heute weitergeführt werden konnte, vorlagen; die erste Delegiertenversammlung, an denen gewählte Siedlungsdelegierte teilnahmen; bis hin zur überwältigenden Zustimmung der Genossenschafter*innen an der Generalversammlung zur dreijährigen Pilotphase der Mitwirkung. Insbesondere die Pilotphase war für uns sehr wichtig. Einerseits, weil die Mitwirkung auf diese Weise zu unserer DNA wurde, und andererseits, weil wir in dieser Zeit wichtige Erfahrungen für die Zukunft der Mitwirkungsgefässe sammeln konnten. Und letztlich die Festschreibung der Mitwirkung in den Statuten. Wir hatten aber auch Rückschläge.
Welche?
Snezana Blickenstorfer: Zu Beginn waren die Siedlungsversammlungen schlecht besucht. So kamen Zweifel auf, ob fixe Mitwirkungsstrukturen für uns der richtige Weg sind. Dann machte uns die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung, weil wir uns nicht mehr physisch treffen konnten. Aber dank dem grossen Engagement und Durchhaltewillen der Delegierten sowie dem permanenten Austausch zwischen den Mitwirkenden und der Geschäftsstelle gelang es, die Mitwirkung auf ein gesundes Fundament zu stellen.
Rückblickend stellt sich die Frage: Welche drei Begriffe verbinden Sie mit der Mitwirkung?
Snezana Blickenstorfer: Gute Entscheidungen dank breit abgestützter Meinungsbildung, Selbstwirksamkeit der Genossenschafter* innen sowie die Stärkung der Gemeinschaft.
«Wir haben bewiesen, dass die Mitwirkung keine Modeerscheinung ist. Schliesslich existiert sie bereits seit bald sechs Jahren.»
Und was wünschen Sie sich für die Zukunft der Mitwirkung?
Snezana Blickenstorfer: Wir haben bewiesen, dass die Mitwirkung keine Modeerscheinung ist. Schliesslich existiert sie bereits seit bald sechs Jahren. Die Teilnehmerzahl der Mitwirkung steigt stetig. Ich wünsche mir eine noch höhere Teilnahmequote und mehr Diversität. Es sollen sich alle Genossenschafter* innen unabhängig von ihrer Bildung, Herkunft und Muttersprache engagieren. Es ist allerdings auch klar, dass nicht alle über die gleichen Ressourcen verfügen, um sich die notwendige Zeit zu nehmen. Alle Bewohnenden unserer Siedlungen sind an den Siedlungsversammlungen und in den weiteren Mitwirkungsgefässen herzlich willkommen. Es ist nie zu spät, sich in der Mitwirkung zu engagieren.
Seit sechs Jahren wertet der Sunnige Hof den Mattenhof mit zusätzlicher Grünfläche auf und erhöht damit die Lebensqualität der Genossenschafter*innen. Dieses langfristige Projekt setzt die Siedlungsgenossenschaft mittels eines Mitwirkungsprozesses um. Der Siedlungsdelegierte Michael Van den Bos und Katrin Gondeck, Leiterin der Abteilung DerBau, berichten im Doppel- Interview über ihre Erfahrungen und wagen einen Blick in die Zukunft.
Katrin Gondeck, der Sunnige Hof hat in den letzten Monaten in der Siedlung Mattenhof diverse Klimamassnahmen umgesetzt. Was war der Anlass für dieses genossenschaftliche Projekt?
Katrin Gondeck: Die sommerliche Hitze hat den Bewohner*innen seit ihrem Einzug in die neue Siedlung Mattenhof im Herbst 2017 zunehmend zu schaffen gemacht. Vor allem die grosse, dunkle Asphaltierungsfläche im Mattenhof ist in den Sommermonaten anfälliger für einen erhöhten Hitzestau und schränkt die Aufenthaltsqualität – gerade im Sommer – ein. Wie wir ja alle spüren, häufen sich die Hitzesommer in immer kürzeren Abständen, und somit haben sich auch die Klagen der Genossenschafter*innen über die Hitze im Mattenhof gehäuft. Diesen Umstand haben wir zum Anlass genommen, um uns die Frage zu stellen: Mit welchen Massnahmen können wir der Wärmeentwicklung im Mattenhof entgegenwirken und die Aufenthaltsqualität des Innenhofs verbessern? Wir tauschten uns mit den Landschaftsarchitekten aus und führten Temperaturmessungen in der Siedlung durch. Dabei wurde festgestellt, dass es im Sommer sogenannte Hitzeinseln gibt – also Stellen, an welchen die Temperaturen besonders hoch sind. Auf Grundlage dieser Messungen haben wir gemeinsam mit den Landschaftsarchitektinnen erste Vorschläge erarbeitet und holten gleichzeitig die Mitwirkenden des Mattenhofs ins Boot. Es war uns wichtig, dass wir sie an diesem Projekt teilhaben lassen. Schliesslich sind sie die Direktbetroffenen.
Wie haben Sie von der Mitwirkung reagiert, Herr Van den Bos, als die Geschäftsstelle Sie mit diesem Thema zum ersten Mal kontaktiert hat?
Michael Van den Bos: Ich kann zwar nur für mich sprechen, aber ich denke, wir alle haben es geschätzt, dass die Abteilung «DerBau» und die Geschäftsstelle in dieser Angelegenheit gleich mit konkreten Vorschlägen auf uns zugekommen sind – zumal diese Thematik unsere Lebensqualität direkt tangiert. Darum wollten wir dieses Nachhaltigkeitsthema in einem grösseren Kontext und mit einem breiteren Publikum besprechen. So ist aus den ersten Gesprächen im kleinen Kreis ein seriöser Mitwirkungsprozess entstanden, welcher mitunter eine siedlungsinterne Umfrage zu den Klimamassnahmen im Mattenhof beinhaltete.
Katrin Gondeck: Die Inputs und die Zusammenarbeit mit der Mitwirkung waren für uns sehr bereichernd. Dass wir uns mit den Siedlungsdelegierten zusammengesetzt und uns überlegt haben, wie wir diese siedlungsinterne Umfrage aufgleisen, hat sich wirklich gelohnt.
«Wir alle haben es geschätzt, dass die Abteilung «DerBau» und die Geschäftsstelle in dieser Angelegenheit gleich mit konkreten Vorschlägen auf uns zugekommen sind – zumal diese Thematik unsere Lebensqualität direkt tangiert.»
Michael Van den Bos
Nehmen Sie uns bei dieser Reise bitte ein wenig mit: Weshalb war die Umfrage bei der Entwicklung und Umsetzung der Klimamassnahmen zentral?
Katrin Gondeck: Zu Beginn lagen uns von den Landschaftsarchitektinnen rund 15 Ideen für die Klimamassnahmen vor, die wir im «Schaufenster» vom Treffpunkt präsentiert haben. Gleichzeitig haben wir die Bewohner*innen aufgerufen, mitzumachen und eigene Ideen einzubringen. Es folgten fünf weitere spannende Vorschläge, die wir in die Umfrage integriert haben. Wir wollten sicherstellen, dass die Ideen in der Siedlung Mattenhof genossenschaftlich breit abgestützt sind, und vor allem wollten wir wissen, welche Massnahmen am besten ankommen. Darum ist die Umfrage entstanden. Jeder Haushalt im Mattenhof bekam einen Flyer mit QR-Code und konnte damit die vorgeschlagenen Klimamassnahmen in einem Ranking mittels Schulnoten bewerten. Zusätzlich wurde mit Plakaten in den Treppenhäusern und Aushängen im «DerTreffpunkt » auf die Umfrage aufmerksam gemacht.
Wir wollten sicherstellen, dass die Ideen in der Siedlung Mattenhof genossenschaftlich breit abgestützt sind, und vor allem wollten wir wissen, welche Massnahmen am besten ankommen.
Katrin Gondeck
Michael Van den Bos: Die Teilnehmerzahl der Umfrage war hoch. Das zeigt klar: Wir haben in dieser Sache den richtigen Weg eingeschlagen.
Und wie sahen die Vorschläge aus?
Katrin Gondeck: Das Interessante war, dass die Ideen und Bedürfnisse der Bewohner*innen mit unseren internen Abstimmungen mit dem Verwaltungsrat und der Geschäftsstelle beinahe deckungsgleich waren. Von der Begrünung der Tiefgarage und der Velodächer, den neuen zusätzlichen Pflanzungen bis hin zur Fassadenbegrünung wie auch das Beschattungsnetz hatten fast alle die gleichen Präferenzen. Auch die Betonbeläge aufzubrechen, traf sowohl auf der Geschäftsstelle wie auch genossenschaftlich auf breite Zustimmung.
Wo haben Sie sich die Inspiration für die Klimamassnahmen geholt?
Michael Van den Bos: Es gab Mieter, die Klimamassnahmen selbst entworfen haben. Diese sind am Computer entstanden. Der verantwortliche Genossenschafter hat das so gewissenhaft getan, dass er gleich noch die Baupläne hätte mitschicken können. Zudem hat jeder Einzelne seinen eigenen Erfahrungsschatz eingebracht und zu den Klimamassnahmen recherchiert. Die Mitwirkung und auch die Siedlung als Ganzes haben sich mit der Thematik vertieft auseinandergesetzt.
«Es gab Mieter, die Klimamassnahmen selbst entworfen haben. Diese sind am Computer entstanden.»
Michael Van den Bos
Auf welche Massnahme sind Sie besonders stolz?
Katrin Gondeck: Über das begrünte Garagendach freue ich mich jedes Mal beim Vorbeilaufen. Es ist ein cooler Blickfang und verändert sich mit den Jahreszeiten, mal sind es rote Tulpen, mal violetter Zierlauch. Die Fassadenbegrünung ist ebenfalls eine Bereicherung. Es war eine positive Überraschung, dass der Hopfen – trotz dem heissen Sommer – in so kurzer Zeit so rasch in die Höhe geschossen ist.
Michael Van den Bos: Und ich bin sehr gespannt, wie sich die Klimamassnahmen vor den Eingangsbereichen gestalten. Dort wird ja erst noch der Asphalt aufgerissen und begrünt. Diese Massnahme wird nun umgesetzt.
Die Umsetzung der Klimamassnahmen war ein genossenschaftliches Gemeinschaftsprojekt. In welcher Rolle haben Sie sich als Mitwirkende gesehen?
Michael Van den Bos: Wir haben uns Mühe gegeben, die Bewohnerschaft für dieses Projekt so weit wie möglich zu begeistern und zu mobilisieren, und waren dafür zuständig, deren Ideen, Wünsche und Bedürfnisse der Geschäftsstelle zu vermitteln. Rückblickend kann ich sagen, dass uns dieser Auftrag gut gelungen ist. Wir hatten mit der Geschäftsstelle stets eine konstruktive und lösungsorientierte Gesprächspartnerin. Grundsätzlich ist die Umsetzung der Klimamassnahmen ein Paradebeispiel dafür, wie die Mitwirkung innerhalb der Siedlungsgenossenschaft funktionieren kann.
Also eine Art Blaupause?
Michael Van den Bos: Zumindest ergab bei diesem Projekt jeder Schritt einen Sinn. Wir sehen die Fortschritte Tag für Tag, wie die Pflanzen unsere Siedlung grüner machen.
«Bei diesem Projekt ergab jeder Schritt einen Sinn. Wir sehen die Fortschritte Tag für Tag, wie die Pflanzen unsere Siedlung grüner machen.»
Michael Van den Bos
Katrin Gondeck: Die Klimamassnahmen sind für alle sicht- und greifbar.
Michael Van den Bos: Jeder konnte mitreden und mitdenken. Wir sind uns bewusst, dass dieses Projekt nicht 1 zu 1 auf andere Mitwirkungsthemen übertragbar ist. Trotzdem können uns die Klimamassnahmen als Vorbild dienen. Noch heute bleiben die Leute beim «Treffpunkt»-Schaufenster stehen und schauen sich die Pläne zu den Klimamassnahmen an. Allein dieser Umstand zeigt, dass sich die Bewohner*innen für das Projekt interessieren. Vielleicht ist der eine oder andere sogar ein wenig stolz auf das Erreichte.
Katrin Gondeck: Und dennoch müssen wir die Genossenschafter* innen noch ein wenig um Geduld bitten: Die positiven Effekte der umgesetzten Klimamassnahmen sind noch nicht ganz spürbar. Es braucht Zeit, bis die Massnahmen ihre vollständige Wirkung innerhalb der Siedlung entfalten. Das gilt besonders für die gesetzten Pflanzen. Wir führen aber zu gegebener Zeit Messungen durch, damit wir wissen, wo wir stehen und an welchen Stellen wir noch optimieren müssen.
Michael Van den Bos: Das ist auch nicht weiter tragisch. Wir alle verstehen das. Vielmehr müssen wir weiterdenken: Das Thema ist jetzt in den Köpfen der Genossenschafter*innen angekommen. Es ist kein Zwang da, die Umwelt zu schützen. Die Mieter*innen überlegen sich, welchen Beitrag sie zur ökologischen Nachhaltigkeit beisteuern können. So gab es beispielsweise den Wildstaudenmarkt. Diesen haben die Bewohner*innen initiiert. Auf diesem Markt haben sich die «Mattenhöfler*innen» darüber ausgetauscht, welche Pflanzen sich am besten als Schattengewächse für den Balkon eignen. Das ist eine riesige Leistung und darauf können wir stolz sein – weil es Sinn macht: Wenn wir über den Klimaschutz nachdenken, können wir gleich noch das Thema Biodiversität integrieren. Die Biodiversität hat sich in der Mitwirkung aus der Diskussion über die Klimamassnahmen ergeben. Daran erinnere ich mich sehr gut. Die Frage kam sofort auf: Warum denken wir nicht gleich noch die Biodiversität mit? Es war nicht ein geradliniger oder eindimensionaler Prozess. Alle haben mitgeholfen und jeder Einzelne leistete einen Beitrag. An dieser Stelle möchte ich den Gärtnern dafür danken, dass sie in diesem Bereich vorangegangen sind und von sich aus Stein- und Asthaufen in der Siedlung installiert oder Pflanzenfelder angebaut haben.
Wie sieht Ihre Vision aus, Herr Van den Bos? Wie sollen die Klimamassnahmen am Ende aussehen und die Siedlung bereichern?
Michael Van den Bos: Wilder! Wenn es wilder ist, wird die Siedlung lebendiger. In unserer Siedlung gibt es sehr viele rechte Winkel und die Klimamassnahmen brechen diese Bauweise ein wenig auf. Zudem ist meine Hoffnung: Jeder überlegt sich, wie er die Biodiversität im Quartier erhöhen kann.